SehnSuchtblog
20. Juli 2023 

Was macht die Sucht mit meinem Körper? – Die Phasen der Suchterkrankung

“Süchtig nach Leben” – Jeder Weg in eine Abhängigkeit ist vielschichtig, facettenreich, sehr persönlich und individuell. Mit diesem SehnSuchtblog möchten wir die persönlichen Geschichten dahinter beleuchten, Suchttherapie-Möglichkeiten aufzeigen, bestärken, den Weg aus der Sucht zu gehen und Lebenslust versprühen. Denn: Das Leben ist schön, sogar wunderschön. Und zu schön, um es vom Suchtmittel beherrschen zu lassen.


Eine Sucht entwickelt sich schleichend, oftmals zunächst unbemerkt für Betroffene, auch was die körperlichen Auswirkungen betrifft. „In den letzten 10 bis 15 Jahren konnte durch verschiedene Studien nochmals untermauert werden, dass die Entwicklung einer stoffgebundenen Sucht, wie eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, sich schon deutlich früher auch im Körper manifestiert, als es den meisten Konsumentinnen und Konsumenten bewusst ist. Dabei ist die Abhängigkeit selbst auch bereits Teil körperlicher Veränderungen“, unterstreicht Bertrand Evertz, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Paracelsus Berghofklinik.

Es lassen sich dabei grob drei Phasen unterscheiden, die auf unterschiedliche Mechanismen zurückgeführt werden können:

Die erste Phase ist die Entwicklung der psychischen Abhängigkeit, die im Wesentlichen auf Fehlsteuerung unseres Belohnungssystems beruht. „Das Belohnungssystem besteht bei allen höher entwickelten Tieren und sorgt dafür, dass wir Verhaltensweisen, durch die wir die Versorgung unserer Grundbedürfnisse, wie Essen, Trinken, Sicherheit, aber auch menschliche Nähe und Kontakt sicherstellen, gerne ausführen, wiederholen und schließlich automatisieren“, so Evertz.

Dabei spiele spannenderweise die Erwartungshaltung eine ganz wichtige Rolle. Wenn einem schon vor dem Essen eine Weile „das Wasser im Mund“ zusammenlaufe, ist die erlebte Belohnung beim Essen viel höher, als wenn einem überraschend etwas Leckeres angeboten werde. Dies erkläre beispielsweise, weshalb viele Heroinkonsumenten schon nach ein bis zwei Konsumvorgängen einen starken Wiederholungswunsch erleben, während sich dieser bei einer medizinisch notwendigen Behandlung mit Opiaten meist deutlich langsamer entwickeln würde.

Viele Suchtmittel bewirken zudem eine hohe Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin, das eine wesentliche Rolle in diesem Lernprozess einnimmt. Dadurch entwickelt sich der Wiederholungswunsch und damit die psychische Abhängigkeit meist schon früh und bereits bei noch unregelmäßiger Einnahme des Suchtmittels.

Die zweite Phase ist die Entwicklung einer körperlichen Abhängigkeit. „Wie schnell diese eintritt unterscheidet sich sowohl hinsichtlich Suchtmittel und Konsumverhalten, aber auch hinsichtlich der individuellen Disposition erheblich“, erklärt Evertz weiter. Beispielsweise werden Kinder und Jugendliche im Schnitt sehr viel schneller körperlich abhängig, als wenn der Konsum erst im Erwachsenenalter beginnt. Trotzdem passiere im Grunde immer das Gleiche: Im Nervensystem besteht ein ausgeklügeltes Gleichgewicht zwischen aktivierenden (bzw. enthemmenden) und dämpfenden (bzw. blockierenden) Wirkfaktoren, was letztlich durch die Regelung der entsprechenden Botenstoffsysteme bewirkt wird. Dieses Gleichgewicht wird durch regelmäßigen Suchtmittelkonsum massiv gestört, sodass automatisch im Gehirn Gegenregulationsmaßnahmen aktiviert werden, die das Ausmaß und die Dauer des Ungleichgewichtes reduzieren sollen. „Betroffene bemerken die beginnende körperliche Abhängigkeit meist als erstes daran, dass durch die Gegenregulation die gewünschte Wirkung nachlässt und daher die Konsummenge erhöht werden muss, was aber wiederum zu mehr Gegenregulation führt.“ Die Folgen des sinkenden Suchtmittelpegels: erste Entzugssymptome, die die körperliche Abhängigkeit belegen. „Spätestens ab diesem Zeitpunkt gelingt der Ausstieg aus der Sucht nur noch mit therapeutischer Begleitung“, stellt Evertz klar.

Mit Fortschreiten der körperlichen Abhängigkeit beginne auch die dritte Phase der körperlichen Veränderungen mit ganz unterschiedlichen Folgeschäden, die nicht nur im Nervensystem, sondern im ganzen Körper auftreten können. Insbesondere bei Alkohol, der ja in höher Konzentration ein allgemeines Zellgift ist, sind diese besonders gravierend. Evertz erläutert: „Inzwischen sind über 200 einzelne Krankheiten bekannt, die bei Alkoholabhängigen gehäuft auftreten. Die Lebenserwartung ist bei fortgesetztem Konsum erheblich reduziert, wobei man von etwa 60.000 alkoholbedingten Todesfällen pro Jahr in Deutschland ausgeht. Davon versterben die meisten an Leberzirrhose, Herzkreislaufschäden wie Schlafanfall oder Herzinfarkt, gehäuften Krebserkrankungen, Infektionen oder Unfällen und Suiziden.“ Auch bei anderen Suchtmitteln seien zum Teil erhebliche körperliche Folgeschäden bekannt, so ist vor allem beim intravenösen Drogenkonsum die Sterblichkeit ebenfalls drastisch erhöht.

Abschließend ist für Evertz ein Punkt besonders wichtig zu betonen: „Auch wenn man erst bei fortgeschrittener Sucht in Therapie geht und bereits körperliche Schäden vorhanden sind, der Körper reagiert sehr dankbar auf die erreichte Abstinenz. Dadurch verbessert sich die Lebensqualität rasch und Lebenserwartung steigt wieder an.“

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