SehnSuchtblog
26. Oktober 2023 

Unsere größte Stärke: Wir gehen den Weg gemeinsam!

“Süchtig nach Leben” – Jeder Weg in eine Abhängigkeit ist vielschichtig, facettenreich, sehr persönlich und individuell. Mit diesem SehnSuchtblog möchten wir die persönlichen Geschichten dahinter beleuchten, Suchttherapie-Möglichkeiten aufzeigen, bestärken, den Weg aus der Sucht zu gehen und Lebenslust versprühen. Denn: Das Leben ist schön, sogar wunderschön. Und zu schön, um es vom Suchtmittel beherrschen zu lassen.


Petra W. und Heiko F. sind ein Paar und beide alkohol- und drogenabhängig. Als Paar haben sie sich entschieden, gemeinsam den Weg aus der Sucht zu gehen. Nach einer gemeinsamen stationären Entwöhnungsbehandlung haben sie sich für eine gemeinsame Adaptionsmaßnahme in der Paracelsus Berghofklinik II in Bad Essen entschieden. Ob es einen genauen Zeitpunkt oder Auslöser für diese Entscheidung gab? Sie hätten beide gemerkt, dass es so nicht weitergehen könne, berichtet Petra W. Auch vor dem Hintergrund bereits zahlreicher fehlgeschlagener kalter Entzüge. „Wir wollten einfach nicht mehr mit zittrigen Händen und einem Kater aufwachen und uns morgens nicht mehr mit der Sorge beschäftigen, was zu trinken zu Hause haben zu müssen. Schlussendlich wollten wir unsere Beziehung retten und sind diesen Schritt gegangen.“ Nachdem verschiedene private Probleme aus dem Weg geräumt waren, erfolgte gemeinsam der Schritt in eine Suchtberatungsstelle. Hinzu kam der Schicksalsschlag einer Fehlgeburt, der nochmals zeigte, dass beide dringend etwas tun müssen. „Es war klar, wir brauchen Hilfe“, bringt es Heiko F. auf den Punkt. Bei ihm habe dieser Prozess 26 Jahre gedauert. Er sei mittlerweile 40 Jahre alt und habe mehr als sein halbes Leben lang konsumiert. Zum Schluss pro Tag zu zweit bis zu fünf bis sechs Wodka-Flaschen.

Neue Alltagsstrukturen finden

Die Auswahl der Kliniken für eine stationäre Entwöhnung, die ein Paar gemeinsam und zeitnah aufnimmt war nicht besonders groß. Letztendlich sind sie für insgesamt 26 Wochen in der MEDIAN Klinik Daun, auf der Altburg gelandet. Für die Zeit der Therapie waren sie zwar gemeinsam auf einem Zimmer untergebracht, allerdings in getrennten Therapiegruppen mit unterschiedlichen Tagesabläufen und Therapieplänen. Dieser Umstand erforderte zunächst eine große Umstellung, da sie vorher 24/7 ihre Zeit zusammen verbracht haben und stark aufeinander fixiert waren. Herr F. hatte sogar anfangs mehrfach Abbruchgedanken. Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten konnten sie aber feststellen, dass ihnen der getrennte Therapiealltag guttut und sie sich wieder aufeinander freuen können, sogar vermissen. „Unser gemeinsamer Alltag bestand vor der Therapie darin keine Struktur zu haben. Wir haben uns damit beschäftigt Alkohol oder Drogen zu besorgen und zu schlafen. Viel mehr gab es nicht. Der Klinikalltag mit seinen Strukturen war eine echte Herausforderung für uns als Paar und für jeden einzelnen“, erklärt Heiko F. Nach über zwei Jahren gemeinsamen Konsum sei eine Trennung eben sehr komisch. Dabei sei gerade dieser Aspekt für Paare im Alltag eine Selbstverständlichkeit. Jeder habe seinen Job und man komme am Abend zusammen. „Das ist bei uns vollkommen verloren gegangen. Jetzt haben wir uns am Ende des Tages wieder gegenseitig etwas zu erzählen“, bilanziert Frau W. Die Trennung in der Therapie schaffte beiden Räume, sich mit den individuellen Themen zu beschäftigten, auch Themen, die vorher nicht im Bewusstsein waren. Beide sagen mit voller Überzeugung: „Wir sind froh, dass wir die Therapie durchgezogen haben!“

Therapie als letzte Chance

Weiter gibt Frau W. offen zu: „Am Anfang kam eine Adaption für mich überhaupt nicht in Frage.“ Sie hätte erst mit der Zeit eine realistische Einschätzung ihrer Situation gewonnen, einmal mehr, weil sie ein gemeinsames Kind erwarten. Wäre sie nach der Therapie sofort zurück in ihr gewohntes Umfeld gekommen, ohne geschützten Rahmen und Unterstützung, wäre es nicht lange gut gegangen. „Mir wurde klar: Werde ich jetzt rückfällig, werde ich das nicht überleben. Das ist meine letzte Chance“, reflektiert Herr F. weiter. Für ihr Baby und für sie selbst sei es ihnen wichtig gewesen, durch den Schritt in die Adaption stabil zu bleiben und weiter Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Adaption als Testphase für das normale Leben

Die größte Umstellung beim Wechsel in die Adaption war für beide, dass weniger kontrolliert wird und die Chance, sich Suchtmittel zu besorgen, größer ist. „Die Bedingungen entsprechen mehr denen zu Hause, dem normalen Leben. Das ist auch gut so, damit wir unser neues Verhalten lernen können. Bei Schwierigkeiten stehen uns die Therapeuten immer noch helfend zur Seite.“ Dass sie auch diese Maßnahme gemeinsam in Anspruch nehmen können, erleichtert und sei eine unheimliche Stütze.

Suche nach neuem Wohnort

Auch für die Zeit nach der Adaption strebt das Paar einen weiterhin geschützten Rahmen im ambulant oder stationär betreuten Wohnen an. Beiden ist klar: ganz ohne Hilfe werden sie es nicht schaffen! Die Plätze für abstinente Paare mit einem Baby sind jedoch sehr rar gesät. Zudem besteht noch Uneinigkeit darüber, ob sie in ihr altes Umfeld zurückkehren oder sich eine neue Heimat suchen. Schließlich bestehen in der alten Heimat die alten Kontakte, sodass die Wahrscheinlichkeit rückfällig zu werden sehr hoch ist. Zumindest die alte Wohnung ist bereits gekündigt. Auf der anderen Seite ist das gesamte familiäre Umfeld in der alten Heimat, zu dem durch die Therapie wieder intensiver Kontakt besteht. „Wir haben mehr dazu gewonnen als verloren“, verdeutlicht Herr F. beim Thema Familienanbindung.

Neue Kennlernphase ohne Alkohol

Durch die Therapie sei ihre Beziehung fester geworden und sie würden mehr miteinander reden. „Wir harmonieren jetzt viel besser. Die Streitigkeiten unter Alkoholeinfluss gibt es nicht mehr. Wir haben uns wirklich neu kennengelernt, weil man sich mit Alkohol einfach viel tabuloser verhält. Bisher unbekannte und verschleierte Eigenschaften kommen zum Vorschein“, beschreibt Frau W. die Veränderung in ihrer Beziehung weiter. Es hieße häufig, dass zwei Süchtige keine Beziehung führen können. Ihr Beispiel zeige, dass es funktionieren kann und sie sich gegenseitig Halt geben. Sie haben sich gegenseitig auf den richtigen Weg gebracht. „Therapie ist nicht leicht, aber es macht es leichter, wenn der Partner oder die Partnerin mit dabei ist und man sich austauschen kann. Alleine wäre der Weg deutlich schwieriger gewesen. Schon die Hürde, die Therapie anzutreten.“

Die Veränderung in ihrer Beziehung wurde insbesondere auf den Heimfahrten spürbar. In zahlreichen Trigger-Momenten, wie die Einladung eines alten Nachbarn auf ein Bier, haben beide offen und ehrlich miteinander geredet. Eine große Veränderung zu vor der Therapie, die Warnzeichen oder eigenen Grenzen zu erkennen und auszusprechen, anstatt Situationen auszuhalten und zu unterdrücken. Auch körperlich und psychisch haben sich gravierende Punkte für die beiden verbessert. „Wir können das Leben wieder genießen und freuen uns auf den nächsten Morgen. Wir erfreuen uns wieder an den kleinen Dingen.“ Vor allem körperlich habe man ihnen angesehen, dass es höchste Zeit wird. Sie seien nicht mehr so abgeschlagen, es gebe deutlich weniger Schmerzen und auch die Ausdauer käme langsam zurück.

Zukunftspläne

Ihr Plan für die nächsten Wochen: Neben der Geburt ihres gemeinsamen Kindes werden sie noch während ihrer Adaptionsmaßnahme in Bad Essen heiraten. Für Herrn F. steht zudem ein Praktikum in einem Fahrradladen an. Er ist gelernter KFZ-Mechaniker, plant aber eine Umschulung. Frau W. würde gerne ein Praktikum im Verwaltungsbereich machen, ein Bereich, den sie während ihrer stationären Entwöhnung neu für sich entdeckt hat und der ihr Spaß macht.

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