31. Januar 2023 

Long COVID braucht neue Behandlung

Ärzte der Paracelsus Harzklinik Bad Suderode schlagen Umorientierung bei der Behandlung von Long Covid vor / Sektorenübergreifende Zusammenarbeit und ambulante Nachsorgekonzepte erforderlich

Quedlinburg 31.01.23 Mit dem langsamen Abklingen der Corona-Pandemie wird immer deutlicher, dass die Langzeitfolgen der Erkrankung längst nicht unter Kontrolle sind. Allen voran das Long COVID-Syndrom mit mehr als 200 Krankheitssymptomen und dem weit verbreiteten ME/CFS (postinfektiöses Myalgisches Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) steht – nach den im Januar geführten Beratungen im Bundestag und den damit verbundenen Patientenprotesten – im Fokus der Öffentlichkeit. Bei geschätzt einer Million Betroffenen in Deutschland ist das jetzt eine drängende medizinische und gesellschaftliche Aufgabe, so Fachärzte der Paracelsus-Kliniken. Sie fordern die gesellschaftliche Anerkennung von Long COVID als Erkrankung und ein Umdenken bei der Behandlung.

Long Covid: Krankheit mit vielen Gesichtern

„Wir behandeln in Quedlinburg seit mehr als zwei Jahren Patienten mit dem Long-COVID-Syndrom”, berichtet Dr. med. Stefan Schwarz, Chefarzt der Pneumologie an der Paracelsus Harzklinik Bad Suderode. „Mit unserer interdisziplinären Therapie erzielen wir gute Erfolge. Aber wir können in unserer Klinik längst nicht alle Erkrankungen versorgen. Long COVID ist ein medizinisches Chamäleon, für das wir bundesweit ganz neue Behandlungskonzepte brauchen.” Ob langanhaltende Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen, Funktionsstörungen der Atmungsorgane, chronische Müdigkeit und Erschöpfung, Wortfindungsstörungen oder Schmerzen – die Liste der Beschwerden ist lang. Dazu kommen Begleiterkrankungen im Herz-Kreislauf-System, im neurologischen oder psychischen Bereich. An der Paracelsus-Harzklinik Bad Suderode hat man sich im Verlauf der Pandemie-Jahre darauf eingestellt. „Wir haben unser Therapiespektrum von der Pneumologie aus Stück für Stück erweitert, um Patienten so umfassend wie möglich behandeln zu können”, erklärt Dr. Schwarz. „Das klassische Behandlungsspektrum wurde überarbeitet, zusätzlich um psychotherapeutische Leistungen erweitert und ein spezielles Hirnleistungstraining aufgebaut. Alle Disziplinen des Hauses arbeiten eng zusammen, um unseren Patientinnen und Patienten ein möglichst umfassendes Behandlungsangebot machen zu können.”

Umdenken erforderlich

Dazu gehört auch die Kardiologie des Hauses. Apl. Prof. Dr. med. habil. Axel Schlitt, MHA, Leitender Chefarzt der Klinik und Chefarzt der Kardiologie, bringt sein Wissen seit 2020 in ein Komitee aus 14 Fachgesellschaften der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) ein, das eine erste Leitlinie für die Behandlung von Long-COVID-Patienten entwickelt hat. Mittlerweile ist sie bereits zum dritten Mal überarbeitet und weitere Revisionen sind nicht ausgeschlossen. „Wir lernen immer noch dazu. Weltweit wird das Wissen in medizinischen Expertenkreisen gebündelt und diskutiert – aber ein Ende ist derzeit nicht in Sicht”, so Prof. Schlitt. „Darum sind die 100 Millionen Euro an Forschungsgeldern, die Bundesgesundheitsminister Lauterbach in Aussicht gestellt hat, gut investiert. Doch bis Ergebnisse vorliegen, wird es dauern. Wichtig ist uns Ärzten, dass nicht erst in zehn Jahren, sondern jetzt gehandelt wird. Jeder Patient muss die individuell für ihn passende indikationsspezifische Post-Covid-Reha bekommen – und das rechtzeitig.”

Mehr Anerkennung, gezieltere Zuweisung

Sein Kollege Dr. Schwarz kann diese Forderung nur unterstützen: „Wir brauchen ein Umdenken im Versorgungssystem, eine verbesserte Diagnostik, eine gezieltere Zuweisung von Betroffenen in geeignete Reha-Kliniken. Und wir brauchen eine breite gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz der Erkrankung.” Es könne nicht sein, so die Meinung beider Ärzte, dass Patienten mit Beschwerden auf eine Wand gesellschaftlichen Unverständnisses stießen und sich auf eine Odyssee durch das Gesundheitssystem begeben müssten, ohne dass ihnen wirksam geholfen werde. „Die Patienten, die bei uns in Behandlung sind, sind keine Simulanten. Sie wollen zurück in ihr Leben und ihren Beruf”, so Dr. Schwarz. „Long COVID ist eine gesellschaftliche Herausforderung.“

Sektorendenken schafft Versorgungslücken

Größte Kritik beider Ärzte ist jedoch, dass das deutsche Gesundheitssystem mit den Säulen Akut- und Rehamedizin sowie der ambulanten Nachbehandlung zum Stolperstein für Patienten wird. Ein geschicktes Überleitungsmanagement und der Abbau von Schwellen könnte bestehende Versorgungslücken schließen und die Chronifizierung von COVID-Begleiterkrankungen sinnvoll vermeiden. Zumindest das Auftreten von Folgeerkrankungen wie Depressionen und Angststörungen. „Wir brauchen ein sektorenübergreifendes Denken bei der Behandlung von Long COVID. Niedergelassene Ärzte, die Beschwerden diagnostizieren, müssen umgehend handeln und eine passende medizinische Rehabilitation initiieren können“, so Prof. Schlitt. Und auch nach der Reha ist nicht Schluss. „Möglicherweise müssen wir uns auf eine ambulante Nachsorge über Monate und Jahre einstellen”, so Dr. Schwarz. „Auch zertifizierte regionale Beratungsstellen im Netzwerk für Long-COVID-Erkrankte wären sinnvolle Ergänzungen.“ Sie könnten im engen Verbund mit psychosozialen, physio- und ergotherapeutischen Anbietern, Selbsthilfegruppen und Praxen Hilfestellung bei der Vermittlung von Behandlungsplätzen und dem Aufbau sinnvoller sektorenübergreifender Behandlungspfade bieten. Ebenso wie bei den Forschungsgeldern seien hier Investitionen in Nachsorgestrukturen wichtig, betonen die Ärzte der Paracelsus-Kliniken.

Beispielhafte Kooperation bei Long Covid

In Bad Suderode hat man bereits gehandelt. Hier besteht ein intensiver Kontakt zu den Berufsgenossenschaften für die weiterführende Versorgung nach der Reha. Alle zwei Wochen trifft man sich regelmäßig mit den Reha-Managern der BGW Magdeburg und Dresden sowie der Unfallkassen. Gemeinsam schaut man auf den Zustand der Patientinnen und Patienten und überlegt, welche ambulanten Maßnahmen nach der Reha erforderlich sind. Die vereinbarte nahtlose Weiterbehandlung ist ein Erfolgsmodell. Sowohl Patienten als auch behandelnde Ärzte und Reha-Manager sind mit den Ergebnissen sehr zufrieden. „Der medizinischen Rehabilitation könnte aufgrund ihrer multidisziplinären Ausrichtung und der Länge der post-akuten Behandlung eine wichtige Lotsenfunktion bei Long COVID zufallen“, resümiert Dr. Schwarz. „Wichtig ist, die Leistungsfähigkeit der Rehabilitation in Deutschland als Teil der Lösung zu begreifen und einen geeigneten Zugang für Betroffene zu schaffen.“

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