- Fachärzte von Paracelsus befürchten durch die Zulassung von Online-Glücksspiel einen Anstieg der Suchtpatienten und eine starke Gefährdung junger Erwachsener
- Letzte Landesparlamente müssen bis zum 30. April entscheiden
Die Entscheidung fällt spätestens am 30. April: Bis zu diesem Datum müssen mindestens 13 der 16 deutschen Landesparlamente dem Entwurf des neuen Glücksspielstaatsvertrages zugestimmt haben, damit dieser zum 1. Juli 2021 in Kraft treten kann. 11 Landesparlamente haben bereits ihr „Ja“ gegeben zu einem Gesetzeswerk, das nach jahrelangen Verhandlungen endlich Klarheit in das unter Landesrecht stehende Glücksspiel bringen soll. Doch die Entscheidung ist umstritten und noch nicht gefallen. Ärzte und Therapeuten von Paracelsus rufen jetzt die verbleibenden Landtage dringend dazu auf, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. „Der neue Vertrag sieht vor, bisher verbotenes oder in Ausnahmefällen geduldetes Online-Glücksspiel, z.B. Online-Casinos oder Online-Poker und virtuelle Automatenspiele im Netz zu legalisieren“, erklärt Dr. Peter Subkowski, Ärztlicher Direktor der Paracelsus Wittekindklinik und Paracelsus Berghofklinik in Bad Essen, die sich auf die Behandlung von pathologischem Glücksspiel spezialisiert haben. „Solche Online-Angebote sind ein niedrigschwelliger Einstieg in das Glücksspiel und bringen nicht nur die Gefahr der Spielsucht für Tausende von Nutzern mit sich, sondern gefährden auch Patienten, die den Ausstieg gerade erst mühsam geschafft haben.” Begrenzende Maßnahmen, die das Gesetz vorsehe, etwa die verpflichtende Einrichtung von überwachten und sperrbaren Spielkonten, ein Limit bei den Einzahlungen, Einschränkungen bei der Werbung oder der Aufbau von Systemen zur Spielsuchtfrüherkennung seien zu begrüßen, reichten aber bei weitem nicht aus, so Dr. Subkowski.
Aus therapeutischer Sicht problematisch
„Die Suchtkliniken von Paracelsus arbeiten bundesweit in trägerübergreifenden Fachgremien zusammen. Wir sind uns mit der gesamten Fachwelt einig, dass der Glücksspielstaatsvertrag aus medizinischer Sicht so nicht umgesetzt werden darf”, erklärt Tobias Brockmann, Geschäftsführer Rehabilitation der Paracelsus Kliniken und Vorstandsmitglied im Fachverband Sucht e.V. Kritisiert wird von den Fachkliniken vor allem, dass das im Staatsvertrag festgeschriebene Limit von 1.000 € pro Spieler und Monat bereits ein exzessives Spielverhalten ermögliche und gerade bei Personen mit geringem Einkommen deren Existenz und die ihrer Familien massiv gefährde. „Das Limit bei Menschen, die von Glücksspielsucht betroffen sind, beschränkt sich ja nicht nur auf die 1.000 € in Online-Casinos, sondern muss zusätzlich zum Glücksspiel in der realen Welt, z.B. in Spielhallen und am Kiosk gesehen werden”, erklärt Dr. Subkowski. Allein elf Milliarden Euro haben Glücksspielanbieter nach dem Jahresreport der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder 2019 legal und analog umgesetzt.
Junge Erwachsene und Rückfällige besonders gefährdet
Ein hohes Maß an Gefährdung sieht Dr. Peter Subkowski vor allem in der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Online-Glücksspiele sehen aus wie normale Computerspiele, die die Jugendlichen von Handy und PC kennen,” beschreibt er das Problem. „Sie werden als harmloses Vergnügen beworben, aber hier bedeutet Verlieren nicht nur ‚Game Over`, sondern den realen Verlust von viel Geld.“ Gerade junge Spieler verlieren leicht die Übersicht über die tatsächlichen Ausgaben und gerieten in einen Teufelskreis, wenn sie Verluste durch ein höheres Risiko ausgleichen wollten. Zweite extrem gefährdete Gruppe sind nach Erfahrungen von Dr. Subkowski als genesen geltende ehemalige Glücksspielabhängige. „Eine stabile Genesung dieser Patienten dauert mehrere Jahre und erfordert selbst dann noch die permanente Kontrolle des eigenen Verhaltens und des inneren Erlebens”, berichtet Dr. Subkowski aus seiner Praxis. „Online-Glückspiel ist überall leicht verfügbar und damit ein dauerndes Rückfall-Risiko.“ Die mögliche Sperre gefährdeter Personen in Glücksspiel-Systemen ist – unabhängig von datenschutzrechtlichen Bedenken – mit wenigen Monaten bis zu einem Jahr deutlich zu kurz gegriffen. „Wir halten den Schritt einer Liberalisierung des Online-Glücksspiels für deutlich verfrüht und fordern dringend die Berücksichtigung medizinischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse”, ergänzt Tobias Brockmann. „Aus unserer Sicht darf der Staatsvertrag so nicht inkrafttreten. Stattdessen sollte der bestehende dritte Staatsvertrag verlängert werden.” Dies vor allem deshalb, weil die länderübergreifende Behörde zur Aufsicht des Glücksspiels, die laut Vertrag in Sachsen-Anhalt entstehen soll, zum 1. Juli, dem Start des Staatsvertrags, nach derzeitigem Stand noch gar nicht ihre Arbeit aufnehmen kann.