24. November 2022 

Am Ende des Tages sind wir alle Heldinnen und Helden!

“Ich hab noch Leben” – Mit diesem authentischen Blog zum Thema Krebs, teilweise von Patientinnen und Patienten selbst aufgeschrieben, möchten wir Mut machen und verschiedene Wege zurück ins Leben aufzeigen. Denn eines haben wir von den Betroffenen gelernt: Das Leben ist immer lebenswert.

Diese Geschichte ist eine von vielen unserer onkologischen Patientinnen und Patienten. Weitere Geschichten haben wir hier im Menü für Sie verlinkt. Schauen Sie rein. Jede einzelne geht ans Herz!


Astrid A., 50 Jahre, Brustkrebs

Der 6. Juni und der 9. Dezember 2021 sind wohl zwei Daten, die Astrid A. in ihrem Leben nicht so schnell vergessen wird. Beide Tage stellten ihr Leben auf den Kopf – im Nachhinein sowohl negativ wie auch positiv. Vieles reflektiert Astrid A. erst jetzt – über ein Jahr später – in der Reha.

Im Februar 2021 war die letzte Brustkrebsvorsorge. Drei Monate später bekam sie die Diagnose Brustkrebs. Bevor die genaue Diagnose „triple-negatives Mammakarzinom“ gestellt wurde, fragte sie sich: Muss ich sterben? Sie hatte eine 84%ige Chance, den Krebs zu besiegen. Der Schock saß tief und der Kopf schaltete sich schlagartig aus. Pessimismus, Wut und Angst machte sich in den Gedanken breit: „Ich habe so viel falsch gemacht in meinem Leben! Ich habe nicht richtig gelebt und jetzt habe ich keine Chance mehr, dies wieder gutzumachen oder überhaupt noch machen zu können!“ Die Angst um sich, ihren Körper und kommenden Nebenwirkungen war in den folgenden Monaten beachtlich. Und obwohl die Chemotherapie fantastisch anschlug, ging es Astrid A. nicht besser. Ein halbes Jahr später, genaugenommen am 9. Dezember 2021, stand die Brust-Op an. Der Tumor hatte sich tatsächlich von 3,6 cm auf 0,7 mm verkleinert. Kurzes Aufatmen?! Ziel erreicht?! Was geschrieben so positiv klingt, impliziert für Astrid A. einen dunklen Weg.

Die dunkelste Zeit meines Lebens

In der Reha erzählt Astrid A., wie es ihr in dieser Zeit erging: „Während dieser Zeit war ich in meiner eigenen Blase gefangen. Gefangen von negativer Stimmung. Ob ich unter Depressionen litt, ich würde rückblickend sagen, ja. Alle Termine und Gespräche bei Ärzten kamen mir unwirklich vor. Die Kontrolle über meinen Körper hatte ich längst abgegeben. Meine Haare, Augenbrauen und Wimpern waren ausgefallen. Ich bin nicht oft rausgegangen, sondern habe mich zu Hause zurückgezogen. Oft geweint. Ich war nicht in der Lage, mit Freunden zu sprechen oder sie anzurufen. Wenn ich mich dann doch mal überwinden konnte, einen Fuß vor die Tür zu setzen, hat man mich nur mit einer Mütze gesehen, schnellem Gang, Kopf nach unten und Schultern nach vorne gezogen. Ich habe gehofft, dass mir kein bekanntes Gesicht über den Weg läuft und Gespräche mit Nachbarn vermieden. Selbst meine besten Freundinnen seit Kinderzeit haben die ersten Monate nichts von meiner Erkrankung gewusst. Ich dachte, wenn ich es nicht ausspreche, dann ist es auch nicht da. Somit erfuhren sie erst drei Monate später, dass ich an Brustkrebs erkrankt war.“

Die OP am 9. Dezember war ein spürbarer Wendepunkt. Endlich ging es mit Astrid A. bergauf. Nicht nur Haare, Augenbrauen und Wimpern kamen langsam zurück, sondern auch die Konzentration und Selbstständigkeit. Die einkehrende innere Ruhe und das Gefühl, wieder die Kontrolle über sich und den eigenen Körper zu gewinnen, machte sie mobiler. Das Verstecken und Verbergen hatten ein Ende. Spätestens als sie mit ihrer Freundin Andrea im Café saß und sich geradezu die Mütze vom Kopf riss: „Jetzt habe ich dieses Ding lange genug getragen!“ Eine Aktion, die noch vor ein paar Monaten undenkbar für Astrid A. war. Auch Andrea war positiv von dem ansteckenden Selbstbewusstsein ihrer Freundin überrascht: „Es war ein langer, anstrengender, steiniger Weg, aber ich bin sehr stolz auf Astrid, dass sie ihn gegangen ist!“

Mein Rückhalt und der Weg in eine Reha

Während ihrer schweren Zeit war Astrid A. umgeben von ihrer Familie und engsten Freunden. Diese bildeten ihr Netz, wie sie beschreibt. Sie haben sie zu jeder Zeit aufgefangen, wenn es ihr schlecht ging, ihre Stimmungsschwankungen ausgehalten, sie aufgemuntert oder Mut zugesprochen. Sie haben ihr die Stärke verliehen, in der Zeit, in der sie schwach war. „Ich liebe meinen Mann mehr als je zuvor. Er hat in dieser Zeit alles gemanagt. Und damit meine ich wirklich alles. Fast jeden Tag schlief ich im Arm meiner Kinder ein und fand so meine Ruhe, wenn ich sonst vor Nervosität Löcher in den Fußboden gelaufen hätte.“

Eine Reha-Maßnahme war für Astrid A. zunächst undenkbar. Drei Wochen allein, ohne Familie, ohne die vertrauten vier Wände. Doch die Familie gab ihr Rückhalt und schließlich war auch sie überzeugt. Ende August 2022 trat sie ihre Anschlussheilbehandlung in der Paracelsus Klinik am See in Bad Gandersheim an. Dass sie diesen Schritt gegangen ist, war die beste Entscheidung, wie sie rückblickend sagt: „Ich bin jetzt Astrid reloaded 2.0.“ Sie spürt selbst eine Veränderung in sich. Wie ausgewechselt kehrt sie stärker und lebensfroher zurück. Und sie hat ein ganz neues und drängendes Anliegen: Sie möchte Frauen, die ebenfalls eine Krebsdiagnose erhalten haben, MUT machen …

Nur MUT, es geht irgendwann für uns bergauf

Das kurze Wort MUT hat für Astrid A. viel Bedeutung. Daher ist es für sie eine Herzensangelegenheit diesen Blog zu nutzen, um ihre persönlichen Erfahrungen mit Krebs zu teilen und welche Bedeutung MUT dabei für sie hat:

„Für alle, die nach einer Krebsdiagnose denken, den Boden unter den Füßen verloren zu haben, sich in ein dunkles Loch verkriechen, habt MUT diese dunkle Zeit zu überwinden. Und das werdet ihr! Denkt positiv und furchtlos (auch, wenn es zunächst hoffnungslos erscheinen mag). Irgendwann geht es wieder bergauf. Irgendwann erlangt man seine Fähigkeiten Stück für Stück zurück. Habt Geduld mit euch und eurem Körper. Sobald es geht, bewegt euch. Angst und Scham dürfen nicht die Oberhand gewinnen. Leichter gesagt als getan, aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, man sollte sich seinen Ängsten stellen, damit man nicht vereinsamt. Und vergleicht euch nicht. Jeder geht seinen Weg der Krebserkrankung samt Therapie in seinem ganz eigenen Tempo.“

3 Dinge, die mir geholfen haben

  1. Tag strukturieren: Am besten nimmt man sich jeden Tag etwas vor, auch wenn es nur eine Sache ist, wie entspannt frühstücken oder mit einer Freundin Kaffee trinken.
  2. Dankbarkeits-Tagebuch: drei Dinge am Abend notieren, für die man dankbar ist oder über die man sich am Tag gefreut hat. Fällt es anfangs noch schwer, wird man mit der Regelmäßigkeit feststellen, dass irgendwann die Positivität in den Erinnerungen und im Alltag überwiegt.
  3. Ich kann jedem eine stationäre onkologische Reha empfehlen. Hier in der Reha sitzen wir alle in einem Boot. Es ist wie eine unsichtbare Verbundenheit, ohne dass die Krankheit bei allem im Vordergrund steht. Man erhält wertvolle Tipps und kann sich für ein paar Wochen nur um sich kümmern.

Und die wichtigste Sache am Schluss: „am Ende des Tages darf man sich gerne in den eigenen Arm nehmen. Man darf stolz auf sich sein und auf das was man bis hierhin geschafft und durchgestanden hat. Denn am Ende des Tages, sind wir alle mutige Heldinnen und Helden!“


„Wie meine Freundin Andrea mich und die Situation erlebte“

Astrid und ich kennen uns seit Kindertagen. Sie war immer ein sehr lieber, ruhiger und zurückhaltender Mensch. Von ihrer Diagnose erfuhr ich im August 2021. Sie erklärte mir, dass nicht viele von ihrer Krebserkrankung wussten, deshalb die „späte“ Nachricht.

Bevor wir uns trafen, beschrieb sie mir ihren körperlichen Zustand (Haarausfall, Gewichtsverlust). Ich besuchte Astrid bei ihr zu Hause, um sie aufzumuntern und etwas abzulenken und war positiv überrascht darüber, wie gut sie aussah. Ich freute mich, sie zu sehen und war guter Dinge. Doch schnell merkte ich, wie mutlos sie war. In den folgenden Wochen und Monaten igelte Astrid sich immer mehr ein, verließ das Haus nur um Arzttermine wahrzunehmen, das Wort Krebs wurde vermieden, in ihrem Alltag gab es keine Struktur. Ich schlug ihr etliche Dinge vor, wie malen, basteln, spazieren, einkaufen, Filme schauen etc., versuchte ihr, kleine Ziele für den Tag zu setzen, aber alles wurde abgewiesen.

In dieser Zeit fühlte ich mich hilflos, verzweifelt, traurig und manchmal wütend. Wollte sie nicht leben? Ich sah keinen Kampf. Was sollte ich nur machen? Letztendlich entschied ich mich dafür, einfach „nur“ bei ihr zu sein. Nahm mir Zeit, hörte ihr zu, beobachtete und reagierte mit Geduld auf ihre Trauer, ihre Stille und ihre Wut. Die Wende kam Anfang 2022 nach erfolgreicher Chemotherapie und Operation. Astrid wurde von Woche zu Woche lebensfroher, sie sprudelte vor Ideen, setzte sich Ziele und strukturierte ihren Tag.

Heute, mehr als ein Jahr später, sehe ich in Astrid einen anderen Menschen. Sie ist offener, zugänglicher, mutiger und viel abenteuerlustiger als vor ihrer Krebsdiagnose. Es war ein langer, anstrengender, steiniger Weg, aber ich bin sehr stolz auf Astrid, dass sie ihn gegangen ist!

Auch für mich war es eine Erfahrung, die mit vielen Emotionen verbunden war. Ich bin noch geduldiger geworden und höre besser zu, habe gelernt mit Trauer, Hilflosigkeit und Wut anders umzugehen. Zum Schluss muss ich meine Bewunderung für Astrids Mann und Kinder aussprechen. Einfach nur stark, wie sie Tag für Tag mit der Situation umgegangen sind. Sie waren (sind) ein starker Halt für Astrid. Eine tolle Familie!

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