7. September 2022 

Was das Mikrobiom so unersetzlich macht

Milliarden mikroskopischer Helfer bilden unser Mikrobiom. Und Forschungen zeigen mittlerweile, wie zentral die Darmflora für unser körperliches und sogar seelisches Wohlbefinden ist.

„Bakterien, Verdauung, Ausscheidungen – iiiiih“, mag sich mancher denken, wenn das Thema „Darm“ angesprochen wird. Dabei ist etwas mehr Respekt und Aufmerksamkeit für das Größte unserer inneren Organe durchaus angebracht. Fünf bis sieben Meter ist ein menschlicher Darm lang. Und was auf den 300 bis 500 Quadratmetern Darmschleimhaut abläuft, ist wichtig für unseren gesamten Körper, sogar überlebenswichtig. Der Grund: Der Darm ist nicht nur wesentlicher Teil des Verdauungsapparates, sondern auch ein erheblicher Teil des Immunsystems.

Billiarden von Bakterien

70 Prozent aller Immunzellen befinden sich im Dünn- und Dickdarm, knapp 80 Prozent aller Abwehrreaktionen laufen hier ab. Billiarden von Bakterien (das sind mehrere Millionen Milliarden) sorgen dafür, dass Baustoffe aus unserer Nahrung verwertbar gemacht und Giftstoffe abtransportiert werden. Zwei Kilogramm der kleinen einzelligen Lebewesen hat jeder von uns in seinem Darm: das sogenannte Mikrobiom (oder auch Darmflora oder Mikroflora genannt). Das sind mehr als alle Zellen in unserem Körper zusammen. Und ihre Zusammensetzung ist so individuell wie unser Fingerabdruck. Eine perfekte Eintracht von Mensch und Bakterien in einer Symbiose zum gegenseitigen Nutzen.

Ständig neue Erkenntnisse zum Mikrobiom

Welche Bedeutung der Darm und das Mikrobiom für unseren Körper hat, erforscht man erst seit rund 15 Jahren. Und immer wieder gibt es weitere Erkenntnisse. Manche davon wurden in der Vergangenheit von Naturwissenschaftlern zunächst belächelt und nicht ernst genommen. Dabei betritt man oft absolutes Neuland. Heute wissen wir zum Beispiel, dass Darm und Gehirn durch den Vagusnerv direkt miteinander verbunden sind. Interessant ist dabei, dass 90 Prozent der Informationen vom Darm an das Hirn gehen und nur zehn Prozent vom Hirn an den Darm. Im Gegensatz zu anderen Organen folgt der Darm offensichtlich nicht immer nur den Befehlen des Gehirns. Mediziner und Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass im Verdauungstrakt eines jeden Menschen ein komplexes System steckt, das sehr oft eigenständig arbeitet und viele andere Abläufe steuert.

Wird sogar Parkinson im Darm ausgelöst?

Störungen im Darm und in der Darmflora können darum unsere Gesundheit und sogar unser Verhalten erheblich beeinflussen. Vermutlich sind sie Auslöser von Volkskrankheiten wie Diabetes, Allergien, Multipler Sklerose, Depressionen und Arthrose. Und Entzündungen des Darms können nach neuesten Erkenntnissen sogar neurologische Prozesse auslösen wie zum Beispiel Demenz oder Morbus Parkinson.

Komplexe Wirkungen

„Wir Menschen behandeln unseren Darm trotzdem schlecht“, stellt Dr. med. Alberto Schek, Chefarzt für Sportmedizin und Prävention an der Paracelsus Klinik Bremen, fest. „Er kann viele Lebensmittel, die wir ihm zumuten, gar nicht verarbeiten. Wir essen zu süß, zu salzig, zu fett, geben ihm Fast-Food und kauen darüber hinaus unser Essen nicht genug. Das ist Schwerstarbeit für die Bakterien. Häufig sind auch Stress und Medikamente – zum Beispiel Antibiotika – schuld daran, dass das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht kommt. Daraus entstehen dann Verdauungsstörungen, Reizungen der Darmschleimhaut oder Entzündungen.“ Die Folgen sind Verstopfung, Blähungen, Durchfälle – in Summe der in der Werbung oft zitierte, medizinisch komplexe „Reizdarm“.

Präventionsmediziner schauen auf den Darm

In der Sportmedizin der Paracelsus-Klinik Bremen geht man mit einem ganz besonderen Blick an den Darm heran. Denn dort schaut man bei Sportlern mit schwer erklärlichen Erkrankungen von Muskeln und Knochen immer auch ganzheitlich auf den Darm. „Der Grund ist relativ einfach“, so Dr. Schek. „Bei einer gestörten Barriere der Darmwand können Bakterien und Nahrungsbestandteile in die Darmwand eindringen. Der Körper bringt dann die Immunabwehr in Stellung. Damit ist er so ausgelastet, dass er sich um die anderen Erkrankungen gar nicht mehr kümmern kann. So entstehen dann an anderer Stelle chronische Beschwerden, die auf den ersten Blick gar nichts mit dem Darm zu tun haben, deren Ursache aber dennoch dort liegt.“ An der Paracelsus Klinik Bremen können Sportler (und solche, die es werden wollen) eine Ernährungsberatung als private Coaching-Leistung in Anspruch nehmen. Diese umfasst Körperfettmessung, Grundumsatzbestimmung und die Auswertung eines Ernährungsprotokolls im Rahmen eines App-gestützten Ernährungscoachings.

Auf das „Bauchgefühl“ hören

An der Paracelsus Klinik Bremen können Ärzte heute nach einer Untersuchung des Mikrobioms eines Patienten sehr genau diagnostizieren, wo Probleme bestehen. Auch präventiv kann viel bewegt werden. „Dabei brauchen wir allerdings auch die Hilfe des Patienten und sein eigenes ‚Bauchgefühl‘“, erläutert Robin Neumann, Leiter Prävention und Gesundheitsförderung der Paracelsus Klinik Bremen. Denn wer sein eigenes Verhalten und seine Störungen genau beobachtet, kann dem Arzt wertvolle Hinweise geben. Auf welche Lebensmittel reagiert der Darm besonders heftig? Wann, wie und wo äußern sich die Beschwerden? Ist die Verdauung regelmäßig und wie ist die Konsistenz des Stuhlgangs? Werden diese Fragen gewissenhaft beantwortet, kann man rechtzeitig mit der Behandlung beginnen.

Das Mikrobiom unterstützen

In der Regel geht es um präventive Verhaltensänderungen und die betreffen vor allen Dingen das Essverhalten. „Entscheidend ist, wie ich esse und was ich esse. Aer auch wann ich esse, denn Esspausen von vier bis sechs Stunden helfen dem Darm, die Nahrung gut zu verarbeiten“, erklärt Robin Neumann. „Verhaltensänderung kann aber auch heißen, Stress zu vermeiden, der uns im wahrsten Sinn des Wortes ‚auf den Magen schlägt‘. Oder das Schlafverhalten zu ändern, zum Beispiel auf ausreichenden und qualitativ guten Schlaf achten.“

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